Politik und Werte

Zum Engagement der Kirchen gegen das revidierte Asylgesetz

Seit Jahren setzen sich die Kirchen der Schweiz für eine Asylpolitik ein, welche die Menschenwürde und die humanitäre Tradition der Schweiz respektiert. Diese Tradition schöpft aus den jüdisch-christlichen Wurzeln unserer Zivilisation. In unseren Pfarreien und Hilfswerken begleiten zahlreiche Menschen Asylsuchende.

Die christliche Überzeugung soll nicht nur für die Sonntagspredigt und auch nicht nur für das Privatleben gelten. Am 24. September geht es um Politik. Politik bedeutet nicht Partei-Politik, sondern Mitgestaltung des Zusammenlebens. Diese Mitsprache gehört für das Christentum und daher für die Kirchen als Organisationsform von Christinnen und Christen zu den Kernaufgaben und Prüfsteinen des Glaubens.

Individuelle Urteile wie Abstimmungsentscheide basieren auf Vorstellungen über das, was gut und richtig ist. Das spezifisch christliche wird erst bei der Begründung auf der Basis des Menschenbildes sichtbar, einen bestimmten Wert als massgeblich zu betrachten. Bei den zwei Vorlagen, die am 24. September zur Abstimmung kommen, sind klar Werte im Spiel. Lassen Sie mich einige nennen:

Menschenwürde kommt jedem Menschen zugute. Dies bedeutet auch, dass allen Menschen anständig begegnet wird und vor allem, dass zuerst die Unschuldsvermutung gilt, weil der Mensch als Mensch im Zentrum steht und nicht etwa der Scheinasylant oder der Missbraucher. Ein Asylgesetz soll das Recht auf Asyl regeln und nicht prioritär die Missbrauchbekämpfung ins Visier haben.

Solidarität: Christliche Solidarität basiert auf der Überzeugung, dass Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Dem Beispiel Jesu sollen sie sich vorrangig für Benachteiligte einsetzen – weniger aus Eigennutz, sondern weil auch diese Menschen sind. Dies kommt etwa in der Hilfeleistung in Notlagen zum Ausdruck, aber auch im Ernst-nehmen aller Lebenssituationen. Die Anwendung formaler Kriterien – der Besitz von Identitätspapieren – vermag niemals den so unterschiedlichen Schicksalen gerecht zu werden, die hinter den Asylgesuchen stehen.

Fremdenfreundlichkeit: Dies ist in der Tat provokativ, erinnert aber an die Wurzel des Christentums, eine Erfahrung des Fremd-Seins, des Flüchtling-Seins und des Angenommen-Werdens. Am Umgang mit dem Fremden zeigt sich massgeblich der biblisch-christliche Glaube. Dies ist nicht identisch mit einer „Juhui-ihr-dürft-alle-zu-uns-kommen“-Politik. Dass die Staaten Asyl gesetzlich regeln, ist durchaus legitim und notwendig, doch dürfen sie dabei weder die Menschenwürde verletzen, noch die Verhältnismässigkeit aus den Augen verlieren.

Sachgerechtigkeit: Die Fakten müssen sorgfältig analysiert werden. Es herrscht kein Asylnotstand in der Schweiz, wir brauchen keine zusätzlichen Verschärfungen. Schlagworte und Verunglimpfungen sind hier nicht hilfreich. Falsche Heilversprechen, ich meine Missbrauch könne gesetzlich gestoppt werden, auch nicht!

Verhältnismässigkeit: Die eingesetzten Mittel sollten in einem vernünftigen Verhältnis zu den Zielen wie zu den Kosten stehen. Die im Asyl- und im Ausländergesetz enthaltenen Zwangsmassnahmen, insbesondere die Möglichkeit, einen erwachsenen Ausländer bis zu zwei Jahren einzusperren, nur weil er oder sie die Schweiz nicht verlassen will, entsprechen klar diesem Prinzip nicht.

Umsetzbarkeit: Mit dem Vorenthalten von Sozialhilfe für abgewiesene Asylsuchende trägt der Staat dazu bei, Räume der Illegalität zu schaffen. Dies kann nicht im Interesse eines Rechtsstaates sein.

Humanitäre Tradition nicht selbstverständlich
Die humanitäre Tradition der Schweiz ging selten von der Regierung aus, sondern von engagierten Einzelpersonen und Gruppen. Wenn zu dieser Tradition Sorge getragen werden soll, dann müssen unsere Regierung und unsere politischen Vertreterinnen und Vertreter darin ermutigt und unterstützt werden. Denn Humanität wächst nicht in Eigendynamik – sondern braucht stete Aufmerksamkeit und Engagement. Sowohl das Ausländer- wie das Asylgesetz sind hinsichtlich der Menschenrechte und der humanitären Tradition der Schweiz äusserst fragwürdig.

Zum Schluss muss ich die Frage stellen, ob ich deswegen, ob wir alle deswegen Gutmenschen sind? „Gutmenschen“ wird jenen zurzeit manchmal vorgeworfen, die sich gegen die beiden Vorlagen äussern.

Der Gutmensch
Damit verbunden ist die abschätzige Aussage, realitätsfremd und naiv zu sein. Beim Wort genommen, ist ein Gutmensch einer, dessen Absichten gut sind; also einer, der eine gute Gesinnung hat. Dies ist – ethisch gesprochen – Voraussetzung für gutes und richtiges Handeln! Doch weil jene, die den „Gutmensch-Vorwurf“ machen, selber mit grösster Wahrscheinlichkeit für sich auch in Anspruch nehmen, gut zu handeln, also gute Absichten zu haben, muss weitergefragt werden nach dem Realitätsbezug: Die Realität im Migrationsbereich ist hochkomplex. Lösungsansätze für die Probleme können nicht über Nacht gefunden, sondern müssen in Prozessen gesucht und geprüft werden. Die Frage stellt sich, ob mit den Rezepten von Verwaltungsabläufen, Missbrauchsbekämpfung und Zwangsmassnahmen nicht eine „gutmütige“ Realitätsverzerrung, das heisst eine Vereinfachung festzustellen ist, die der Komplexität nicht gerecht wird. Der Gutmensch-Vorwurf im Sinne einer Realitätsblindheit oder -Sehschwäche fällt damit auf die Urheber zurück.

Thomas Wallimann-Sasaki
Dr. theol.
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