Internationale Zusammenarbeit 2021-2024

Die Agenda 2030 muss Grundlage der Internationalen Zusammenarbeit in der Schweiz sein. Vernehmlassungsantwort von J+P zur bundesrätlichen Reform der IZA

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF

 

Per Mail an:

Fribourg, 22. August 2019

Vernehmlassung:

Internationale Zusammenarbeit 2021-2024:

Sehr geehrte Herren Bundesräte

Sehr geehrte Damen und Herren

Für die Möglichkeit, im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zu den von Ihnen vorgelegten Bundesbeschlussentwürfen und dem erläuternden Bericht über die IZA 2021-2024 die Überlegungen der Kommission Justitia et Pax vorlegen zu können, danken wir bestens. Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax ist eine sozial-ethische Fachkommission der Katholischen Kirche Schweiz, die sich seit nunmehr 50 Jahren mit Fragen von Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung befasst – im Hinblick auf die Schweiz, aber auch weltweit.

Vorbemerkung

Für die Kommission Justitia et Pax sind die Ausgestaltung, die Zielsetzungen und die Rahmenbedingungen der IZA eine wichtige Angelegenheit. Hier zeigt sich, wie und wo die Schweiz ihre Prioritäten setzt im Hinblick auf eine friedliche und gerechte internationale Ordnung und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen (vgl. Art. 2, Abs. 4, BV). Wir begrüssen es deshalb sehr, dass der erläuternde Bericht des Bundesrates zur IZA 2021-2024 – zum ersten Mal – einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Es ist unerlässlich, dass bei so grundlegenden Fragen zu Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit und Verantwortung für die Schöpfung eine breite Meinungsbildung möglich ist.

Am 25. September 2015 stimmte die UNO-Generalversammlung in New York der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung unter dem Titel «Transformation unserer Welt» zu. Die Agenda 2030 ist das Ergebnis eines intensiven mehrjährigen Verhandlungsprozesses, in dem auch die Schweiz eine aktive Rolle einnahm.

Dank der Agenda 2030 werden die grossen Entwicklungsfragen wie Armut, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Förderung nachhaltiger Entwicklung als Herausforderungen für die gesamte Menschheit verstanden. Die 17 Ziele der Agenda 2030 müssen Fundament für die Internationale Zusammenarbeit der Schweiz sein.

Für die Kommission Justitia et Pax haben die in der Agenda 2030 enthaltenen 17 Ziele (SDGs) eine grundlegende Bedeutung. Politische Zielsetzungen der Schweiz – nicht nur im Hinblick auf die IZA – müssen sich an diesen SDGs messen lassen. Eine Neuausrichtung von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in Richtung globaler sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit erfordert deshalb eine solidarische Haltung über alle Grenzen hinweg. Die nachfolgenden Überlegungen sind vor diesem Hintergrund zu verstehen, sie fassen unsere Hauptanliegen zusammen.

      1. Kampf gegen Armut und Hunger als strategisches Ziel der IZA

Die Beendigung von Hunger und Armut in allen ihren Formen, der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle und die volle Entfaltung des Potenzials aller Menschen in Würde und Gleichheit in einer gesunden Umwelt leiten sich ab aus der Universalität der Menschenrechte. Sie müssen die Grundlage all unseres Handelns sein, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler Herkunft und sozialer Stellung.

In der IZA 2021-2024 ist die Armutsbekämpfung leider nur noch ein Thema neben anderen. Als strategisches Ziel, an dem sich die weiterführenden Zielsetzungen zu orientieren hätten, fehlt sie aber. Der vorliegende Entwurf des Bundesbeschlusses zur IZA 2021-2024 unterläuft damit die in den SDGs genannten strategischen Ziele. Wenn es im erläuternden Bericht IZA 2021-2024 heisst, dass «die IZA […] Ausdruck [ist] der Solidarität, die eines der Prinzipien darstellt, nach denen die Schweiz ihr Verhältnis zur internationalen Gemeinschaft gestaltet, und […] der weltweiten Verflechtung [entspricht]», dann müsste dieses Verständnis von Solidarität auch im vorgelegten Entwurf deutlicher zum Ausdruck kommen und die Armutsbekämpfung als strategisches Ziel verankert sein.

  • Die IZA 2021-2024 muss deshalb den Kampf gegen die Armut und die Solidarität mit armen Menschen als strategisches Ziel in den Vordergrund stellen. Alle weiterführenden Zielsetzungen haben sich daran zu orientieren.

      2. Zusätzliche Mittel zur Bekämpfung und Bewältigung der Folgen des Klimawandels sind notwendig

Die globalen Klimaveränderungen stellen arme Länder und Bevölkerungsgruppen vor besondere Herausforderungen. Die Auswirkungen des Klimawandels kennen keine geografischen Grenzen. Sie betreffen die gesamte Weltbevölkerung, sind aber dort besonders spürbar, wo die Lebensgrundlagen von Menschen direkt von der Natur abhängen und keine Ressourcen vorhanden sind, um die Folgen des Klimawandels zu kompensieren. Die Folgen des Klimawandels sind zunehmende Armut, Hunger und Naturkatastrophen. Es sind schon heute die ärmsten Länder, die in besonderem Masse vom Klimawandel betroffen sind. Für deren Bevölkerung ist der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung.

Die Industrieländer haben sich völkerrechtlich dazu verpflichtet, nebst den bestehenden Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit neue und zusätzliche Klimagelder bereitzustellen. Für die Kommission Justitia et Pax ist es aus ethischer Sicht nicht haltbar, dass die Schweiz – trotz ihrer nicht unerheblichen Mitverantwortung an der Erwärmung und trotz internationalen klimapolitischen Verpflichtungen – dafür in dem vorgelegten Entwurf keine zusätzlichen Gelder vorsieht.

  • Der im Rahmen der internationalen Unterstützung armer Länder zur Bekämpfung und Anpassung an den Klimawandel vorgesehen Finanzbeitrag (Klimafinanzierung) darf nicht zulasten der Mittel für die allgemeine IZA gesprochen werden.
  • Die in der IZA 2021-2024 vorgesehen Rahmenkredite zur Bekämpfung und Bewältigung der Folgen des Klimawandels (Klimafinanzierung) müssen deutlich aufgestockt werden.

      3. Höhere finanzielle Mittel für die Internationale Zusammenarbeit

Entgegen den international abgegebenen Versprechen, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0.7% des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, sind im Entwurf zur IZA 2021-2024 gerade einmal 0.45% vorgesehen. Darin enthalten sind auch die Betreuungskosten für Asylsuchende. Abzüglich dieser Kosten beträgt die Quote nur noch rund 0.4 %. Dies ist deutlich weniger als die vom Parlament beschlossenen 0.5%. Länder wie Schweden, Luxemburg, Norwegen, Dänemark oder Grossbritannien geben jährlich bis zu 1% ihres Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aus.

Wenn die Schweiz ihre völkerrechtlich abgegebenen Versprechen einhalten und die in der Agenda 2030 unterzeichneten Ziele erreichen will, müssen aus Sicht der Kommission Justitia et Pax auch für die Internationale Zusammenarbeit mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Schweiz ist zudem gefordert, sich angemessen am zunehmenden globalen Mittelbedarf für humanitäre Hilfe zu beteiligen.

Die Mittel für diese Aufstockung sind vorhanden. Dem Bund geht es finanziell hervorragend. Die Kommission Justitia et Pax macht sich stark dafür, dass die Schweiz, anstatt bereits tiefe Schulden weiter abzubauen, ihre Investitionen in eine friedliche und auch für unsere Kinder noch lebenswerte Welt erhöht.

  • Die in der IZA 2021-2024 vorgesehen Rahmenkredite sind deutlich zu erhöhen. Um die für die Armutsbekämpfung notwendigen Ziele zu erreichen und um der Stellung der Schweiz in der Welt gerecht zu werden, sind 0.7% des BNE für die IZA vorzusehen.

      4. Lateinamerika braucht weiter Unterstützung

 Die vom Bundesrat vorgeschlagene strategische Neuausrichtung der IZA sieht vor, dass sich die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz aus Gründen einer sachlichen Konzentration und besserer Effizienz aus Lateinamerika zurückzieht. Dies mag auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, weil Lateinamerika nicht mehr zu den ärmsten Regionen dieser Welt gehört. Allerdings sollte eine Neuausrichtung immer auch die spezifischen Kontexte wie humanitäre Situation, extreme Ungleichheit und Armutsverhältnisse berücksichtigen. Insbesondere Haiti als ärmstes Land des Kontinents ist auf bilaterale Entwicklungszusammenarbeit aus der Schweiz dringend angewiesen.

In anderen Ländern sind Beiträge zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes ebenso vonnöten. Mindestens die Weiterführung dieser bisherigen Engagements muss gewährleistet sein

  • Die IZA 2021-2024 soll das bilaterale Engagement der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit weiterführen.
  • Die IZA 2021-2024 soll das Schweizer Engagement zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Menschenrechte in Lateinamerika auch bei einem Rückzug der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit weiterführen.

Zu den von Ihnen gestellten Fragen nehmen wir wie folgt Stellung:

1) Entsprechen die vorgeschlagenen Ziele Ihrer Ansicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung der Entwicklungsländer, den Interessen der Schweiz und den komparativen Vorteilen der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz? (Kapitel. 2.3)

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die formulierten Ziele einseitig aus Sicht der Schweiz formuliert sind. Sie entsprechen deshalb kaum den dringendsten Bedürfnissen der ärmsten Bevölkerungskreise. Vielmehr widerspiegeln sie eine wirtschaftliche Sichtweise, die sich an den Entwicklungs- und Wachstumszielen der Industrienationen orientiert. Dabei sind gerade diese Entwicklungsmuster durch die globale Klima- und Ressourcenkrise grundlegend in Frage gestellt.

Die Schweizer IZA soll sich im Bereich der formellen Wirtschaft auf die nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen gemäss den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation fokussieren. Im Bereich der in Entwicklungsländern überwiegenden informellen Wirtschaft muss die Schaffung von menschenwürdigen Erwerbsmöglichkeiten das wichtigste Ziel sein.

2) Entsprechen die neuen Schwerpunkte Ihrer Ansicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung der Entwicklungsländer, den Interessen der Schweiz und den komparativen Vorteilen der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz? (Kapitel. 2.4)

Der Fokus auf humanitäre Hilfe und Entwicklung ist sehr zu begrüssen. Es ist auch nachvollziehbar, dass der Privatsektor stärker einbezogen werden soll. Dessen Bedeutung wurde im Rahmen der Agenda 2030 klar und zu Recht betont. Dabei wurden aber auch sinnvolle Leitlinien für die IZA für deren Engagement mit privaten Unternehmen festgehalten, an denen sich auch die Schweizer IZA zu orientieren hat.

Schweizer Unternehmen dürfen auf keinen Fall lokales Gewerbe konkurrenzieren oder schädigen. Als weltgrösste Handelsdrehscheibe für Rohstoffe und Sitz vieler Handelskonzerne obliegt der Schweiz eine besondere Verantwortung. Diesem Aspekt sollte in der Botschaft zur IZA 2021–2024 dringend Rechnung getragen werden. Es ist sicherzustellen, dass IZA-Gelder nur zwecks „Leverage“ und Mobilisierung von Drittmitteln aus dem Privatsektor eingesetzt werden. Aus Schweizer IZA-Mitteln sollten nur zurückhaltend Projekte aus dem Privatsektor finanziert und lediglich Beiträge zum Erfahrungsaustausch und zwecks Erhöhung von privaten Beiträgen an die Agenda 2030 geleistet werden.

3) Entspricht die vorgeschlagene geografische Fokussierung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit Ihrer Ansicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung der Entwicklungsländer, den Interessen der Schweiz und den komparativen Vorteilen der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz? (Kapitel. 2.4.1 und 3. 1.2)

Wie bereits oben dargelegt dürfte die geografische Fokussierung kaum den Bedürfnissen der dortigen Bevölkerung entsprechen. Es ist aber nachvollziehbar, dass aus einigen Middle Income Countries ausgestiegen werden soll – auch wenn vier Grossregionen nach wie vor keine wirkliche Fokussierung darstellen. Die durch den Ausstieg freiwerdenden Mittel müssen aber tatsächlich in Länder der ärmsten Einkommenskategorie (Least Developed Countries) eingesetzt werden, optimalerweise in Subsahara-Afrika. Schwierig nachvollziehbar ist allerdings der Fokus auf Somalia. Erstens steigt die DEZA offenbar gleichzeitig aus ebenso fragilen Kontexten aus (Äthiopien, Südsudan), und zweitens wäre, wenn denn die Schweiz tatsächlich eine adäquate Antwort auf grosse Migrationsbewegungen geben wollte, nicht ein Ausstieg, sondern ein ernstzunehmendes Engagement in Aufnahme- und Transitländer des Horns von Afrika die logische Konsequenz.

Fazit:

Die Prinzipien der gegenseitigen Hilfe und Solidarität sowie der Kampf gegen die Armut müssen aus ethischer Sicht Richtschnur der Schweizer IZA sein. Die Schweiz hat die Möglichkeit, den Kampf gegen die Armut positiv zu beeinflussen. Die strategische Ausrichtung der Schweizer IZA muss einen globalen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten und nicht einseitig die eigenen Interessen als Grundlage haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Schweizer IZA ein grosses Fachwissen in Bereichen wie Ernährungssicherheit, Förderung der Demokratie und Stärkung der Menschenrechte angeeignet. Dieses Wissen stellt ein Kapital dar und seine Verbreitung soll Priorität geniessen.

Wir danken Ihnen für die Möglichkeit zur Stellungnahme und verbleiben

Mit freundlichen Grüssen  

+41 78 824 44 18
wolfgang.buergstein@juspax.ch

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