Das Klima, die politische Herausforderung des 21. Jahrhunderts

Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik. Medienkonferenz, Bern, 24. August 2006

Klimamasterplan: Der Weg zu einer klimaverträglichen Schweiz

Wir sind Zeugen eines in der Menschheitsgeschichte einmaligen Vorgangs: Wir sind daran, quasi blindlings mit sieben Milliarden Menschen ein Experiment im Massstab 1:1 durchzuführen. Wir beeinflussen nämlich ein Element, das auf unsere Lebensbedingungen auf dieser Erde einwirkt und von dem wir nicht einmal genau wissen, wie es eigentlich funktioniert: das Klima unseres Planeten.

Warum? Damit wir weiterhin schrankenlos mobil sein, nichterneuerbare Energien verheizen und bald auch unsere Gebäude kühlen können, ohne die Folgen zu bedenken. Doch die Rechnung wird kaum aufgehen: Wir verbrauchen Erdöl, und die Verbrennung jeder kohlenstoffhaltigen Substanz reichert die Atmosphäre mit Treibhausgasen an, hauptsächlich mit CO2. Heute stellt das Klima die wichtigste politische Herausforderung dar und geht nicht bloss die Wissenschaftler etwas an. Der Klimaschutz – und damit verbunden auch eine auf Nachhaltigkeit beruhende Energiepolitik – muss, auf nationaler wie internationaler Ebene, zu dem die gesamte politische und soziale Agenda dominierenden Prinzip werden, weil es diese Agenda wie kein anderes bestimmt.

Massnahmen gegen die Klimaerwärmung sind weder ein Luxusproblem reicher Länder noch das Steckenpferd einiger auf öffentliche Aufmerksamkeit erpichter Umweltschützerinnen und Umweltschützer, sondern eine Frage des Überlebens und der Gerechtigkeit. Das sei kurz veranschaulicht: Dem Hurrikan Katrina, der im August 2005 die USA heimsuchte, fielen hauptsächlich die Ärmsten, die vom Wohlstand Vergessenen, zum Opfer: Die ökologische Frage führt stracks zur sozialen Frage. Die Hitzewelle des Jahres 2003 in Europa brachte Tausenden von Menschen, vornehmlich älteren Menschen, den Tod. Die UNO schätzt, dass bis 2010 50 Millionen Menschen vor Umweltkatastrophen aus ihrer Region fliehen werden: Diese Zahl ist doppelt so hoch, wie die Zahl der Menschen, die vor bewaffneten Konflikten fliehen. In der Schweiz können wir es uns leisten, Gletscher abzudecken, um deren Abschmelzen zu verlangsamen. Aber werden wir die Klimaflüchtlinge aufnehmen, zu deren Los wir mit unserem Energieverbrauch beitragen? Sind wir bereit, alle Menschen umzusiedeln, die an Flussufern oder in felssturzgefährdeten Gebieten leben? Oder jenen Menschen zu helfen, die in armen Ländern die Zeche für die Klimaveränderung bezahlen, die eigentlich mehrheitlich wir verursachen? Ist es zulässig, dass die Krisenverursachenden die Krisenfolgen den Ärmsten der Welt überlassen? Würden sämtliche Menschen dieser Erde im gleichen Stil leben wie wir, Europäerinnen und Europäer, würden die Ressourcen von drei, ja gar vier Planenten benötigt. Diese Flucht nach vorne, dieses «Immer-Mehr-Immer-Schneller» hat zwar im 20. Jahrhundert zum Wohlstand beigetragen, wenn auch in sehr ungleichem Masse. Aber hat sie zur Entfaltung, zum Glück des Menschen beigetragen? Zweifel daran seien erlaubt.

Ein Klima-Masterplan

Unser Klima und die Gesellschaft, in der wir leben, geht uns alle etwas an. In dieser Überzeugung erlässt die heute in Bern versammelte Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik, zu der sich 51 Organisationen aus unterschiedlichen Bereichen (Umweltschutz, Kirchen, Soziales, Entwicklungshilfe, Politik usw.) zusammengeschlossen haben, einen Klima-Masterplan. Dieser kohärente, wissenschaftlich abgestützte Klima-Masterplan sieht eine Vielzahl von Instrumenten vor, um den Klimawandel zu begrenzen. In einem Manifest fordert die Allianz die Politikerinnen und Politiker der Schweiz auf, keine weiteren Überschwemmungen, Felsstürze oder Hitzewellen abzuwarten, sondern heute zu handeln. Je länger die notwendigen Entscheidungen vertagt werden, umso höher werden die Kosten für alle sein.

Die Klima-Allianz fordert:

  • dass die Schweiz das Ziel der UNO-Klimakonvention (Art. 2) bestätigt und sich aktiv dafür einsetzt, ihren Beitrag zu leisten, damit die maximale weltweite Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Mitteltemperatur unter 2° C bleibt;
  • dass die Klimapolitik unseres Landes sich nicht auf die erste Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls beschränkt. Wir fordern einen rechtsverbindlichen Rahmen, worin die Schritte auf dem Weg zu einer 2000-Watt-Gesellschaft festgelegt werden: Drittelung des heutigen Energieverbrauchs;
  • dass sich die Schweiz konkret verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 90 % zu reduzieren;
  • dass der Bundesrat und die gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter auf allen Ebenen ihre Verantwortung wahrnehmen und darauf hinarbeiten, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre die im Klima-Masterplan vorgesehenen Instrumente umgesetzt werden – was mit dem entsprechenden politischen Willen durchaus machbar ist.

Unseren Forderungen liegen nicht bloss ethische Überlegungen zugrunde: Erste Schätzungen des Bundesamtes für Umwelt aus dem Jahr 1998 gehen davon aus, dass in Zusammenhang mit dem Klimawandel in der Schweiz wirtschaftliche Kosten und Verluste in der Höhe von jährlich 3 Milliarden Franken anfallen werden. Nichts tun kommt uns teuer zu stehen! Heute ist aktives Handeln angesagt. Unsere Frage an Sie lautet heute nicht mehr: «Können Sie», sondern «Wollen Sie sich für den Schutz des Klimas unseres Planeten einsetzen?». Und sind wir bereit, die Kosten unseres Nichthandelns zu tragen? Wir unsererseits nehmen unsere Verantwortung wahr und rufen jede Entscheidungsträgerin, jeden Entscheidungsträger auf, es ebenfalls zu tun. Der Aktionsplan ist da. Es ist an uns, ihn umzusetzen!

Anne Durrer, Justitia et Pax