Vernehmlassung Altersvorsorge 2020

Justitia et Pax begrüsst in wesentlichen Teilen den vom Bundesrat vorgelegten Entwurf zur Altersvorsorge 2020. Eine Reform der Altersvorsorge hat sich grundsätzlich daran zu orientieren, dass allen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die Teilhabe an gesellschaftlichen Einrichtungen ermöglicht wird. 

Sehr geehrter Herr Bundesrat

Sehr geehrte Damen und Herren,

gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, zum vorgelegten Entwurf zur Reform Altersvorsorge 2020 Stellung zu nehmen. Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax ist eine Stabsstelle der Schweizer Bischofskonferenz, die sich mit dem breiten Feld sozialethischer Fragestellungen befasst.

Im Jahr 2009 hat sich die Kommission eingehend mit der Frage der Altersvorsorge vor dem Hintergrund des demografischen Wandels befasst. [1] Die nachfolgenden Ausführungen zum Entwurf einer Reform der Altersvorsorge beziehen sich wesentlich auf diese Stellungnahme und die darin enthaltenen Eckpunkte und Empfehlungen für eine gerechte Altersvorsorge.

1. Grundsätzliches

Die demografische Alterung unserer Gesellschaft hat Auswirkungen auf die Ausgestaltung und Finanzierbarkeit der Altersvorsorge. Aus ethischer Sicht ist dabei Folgendes zu beachten: Eine Reform der Altersvorsorge hat sich grundsätzlich daran zu orientieren, dass allen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die Teilhabe an gesellschaftlichen Einrichtungen ermöglicht wird. Das bedeutet, dass den am meisten Benachteiligten bei der Suche nach neuen Lösungen besondere Beachtung zu schenken ist. Dies entspricht auch dem in der Bundesverfassung ausgedrückten Selbstverständnis des Schweizervolkes, das seine Stärke am Wohl der Schwachen misst.

Die drei Säulen der Altersvorsorge der Schweiz sind weitgehend aufeinander abgestimmt und haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass das Phänomen der Altersarmut deutlich reduziert werden konnte. Damit dies auch auf dem Hintergrund demografischer Veränderungen so bleibt, begrüssen wir eine Gesamtbetrachtung, die die drei Säulen nicht losgelöst voneinander betrachtet. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die AHV ihre Aufgabe einer Grundsicherung, wie sie in der Bundesverfassung festgeschrieben ist, auch in Zukunft ausreichend erfüllen kann. Da eine erhebliche Zahl von Rentnerinnen und Rentner ihr Einkommen zu einem grossen Teil aus der AHV beziehen, ist hier der Finanzierungs- und Leistungsseite besondere Beachtung zu schenken. Die Kommission schlägt vor, eine Anhebung der Minimalrente der AHV für eine bessere Existenzsicherung der unteren Einkommen ins Auge zu fassen.

Der Handlungsbedarf bei der Sicherung der Altersvorsorge vor allem aufgrund der demografischen Veränderungen wird auch von Justitia et Pax anerkannt. Wir verweisen in diesem Zusammenhang aber darauf, dass die demografischen Veränderungen bereits seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts ohne grössere Herausforderungen in das bestehende System der Altersvorsorge integriert werden konnten. Eine genaue Betrachtung zeigt, dass es insbesondere die Lohnentwicklung war, die in der Vergangenheit die demografischen Veränderungen kompensieren konnte. Demografische Szenarien für die kommenden 30-50 Jahre sind weitgehend verlässlich, aber politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen können kaum über einen längeren Zeitraum vorausgesagt werden. Es bleiben somit weitere zahlreiche Unbekannte, die für die zukünftige Finanzierbarkeit, Stabilität und Verlässlichkeit der Altersvorsorge eine Rolle spielen.

Vor diesem Hintergrund muss eine nachhaltige Sicherung der Altersvorsorge insbesondere auch ein nachhaltiges Wachstum zum Ziel haben. Ein nachhaltiges Wachstum stellt allerdings unsere bisherige Art und Weise des Wirtschaftens in Frage. Die Sicherung der Altersvorsorge wird so zu einer politischen Querschnittsaufgabe. Die Kommission Justitia et Pax empfiehlt deshalb einen Strategiewechsel in der AHV-Finanzierung: reduzierte AHV-Beiträge, um den Faktor Arbeit zu verbilligen einerseits und Einführung zweckgebundener Umweltsteuern zur Finanzierung der AHV andererseits. Dieser Strategiewechsel könnte ein Beitrag für eine umfassendere notwendige ökologische Steuerreform sein.

Einhergehend mit diesem Strategiewechsel in der AHV-Finanzierung plädiert die Kommission ausserdem für die

  • Einführung einer zweckgebundenen nationalen Erbschaftssteuer. Die Gruppe der 55-75-Jährigen gilt heute wirtschaftlich als am besten gestellt. [2] Unter dem Gesichtspunkt der Generationensolidarität sollte dieser Aspekt bei der AHV-Finanzierung eine grössere Rolle spielen. Entgegen der klassischen Theorie findet in zahlreichen Rentnerhaushalten im Alter kein Vermögensverzehr (sog. „Entsparen“) statt. Der Bezug eines Erbes verdankt sich im Allgemeinen nicht dem Leistungsprinzip. Aus christlich-ethischer Perspektive gilt das Recht auf Eigentum nicht absolut („Sozialpflichtigkeit des Eigentums“), so dass hier mit guten Gründen für einen sozialen (intergenerationell und intragenerationell) Ausgleich plädiert werden kann.
  • zweckgebundenen Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist einer Erhöhung der Lohnprozente in jedem Fall vorzuziehen, weil Letztere die Erwerbsgeneration zusätzlich einseitig belasten würde. Eine solche Finanzierungslösung wäre ebenfalls ein Beitrag zur Generationensolidarität, weil so auch die Rentnerinnen und Rentner über ihren Konsum einen Beitrag zur Finanzierung der sog. „Alterslast“ leisten würden.

2. Beurteilung ausgewählter Teile der Revision

Referenzalter für den Rentenbezug

Trotz einer weiterhin ungenügenden Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen mit Männern in der Arbeitswelt, spricht sich die Kommission mit Blick auf die geringere Lebenserwartung der Männer bei einer aber allgemein gestiegenen Lebenserwartung für eine Angleichung des Rentenalters für beide Geschlechter auf 65 Jahre in beiden Säulen aus. Wichtig ist aus unserer Sicht vor allem die Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenbezugs in der 2. Säule. Damit werden die Anreize zum Vorruhestand für die Besserverdienenden reduziert und aufgrund des längeren Verbleibs gut verdienender älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer positive Effekte für die Einnahmen bei der AHV erzielt. Ausserdem werden die Unternehmen entlastet, weil sich die Beiträge für die 2. Säule bei gleich bleibender Ansparsumme auf mehr Jahre verteilen. Diese Angleichung setzt aber voraus, dass die längst verfassungsmässig verankerte Gleichstellung von Frau und Mann bei den Löhnen durchgesetzt wird.

Flexible und individuelle Gestaltung des Ruhestands ermöglichen

Wir sprechen uns für die Einführung eines flexiblen Rentenalters aus, dass den Gegebenheit und Bedürfnissen der Menschen von heute mehr entspricht. Wir begrüssen daher ausdrücklich die Flexibilisierung des Altersrücktritts zwischen 62 und 70 Jahren. Ältere Menschen sollten weder mit 62, noch mit 65, noch mit 67 Jahren in den Ruhestand geschickt werden, sondern so lange arbeiten, wie es ihrer individuellen gesundheitlichen Verfassung und Vorstellung von einem angemessenen Lebensabend entspricht, Ausnahmeregelungen sollten möglich sein. Dafür braucht es einerseits entsprechende finanzielle Anreize, anderseits aber auch angemessene und flexible Angebote von Seiten der Arbeitgeber und Unternehmen. Der Tatbeweis für eine entsprechende Flexibilität und der Bereitschaft zu solchen Lösungen aufseiten der Arbeitgeber und Unternehmen fehlt heute grösstenteils noch.

Insbesondere beim Rentenvorbezug für untere Einkommen, die meist gesundheitlich und gesellschaftlich benachteiligt sind, müssen entsprechende Regelungen gefunden werden, die deren Schlechterstellung nicht zusätzlich vergrössert. Wir begrüssen es deshalb, dass bei Personen mit tiefen bis mittleren Einkommen und langer Erwerbsdauer beim Rentenvorbezug die AHV-Rente weniger stark oder gar nicht gekürzt werden soll.

Rentenarten

Witwen oder Witwerrenten ohne Betreuungspflichten ganz zu streichen, finden wir ethisch problematisch. Eltern – Vater oder Mutter – die zugunsten einer Kinderbetreuung nicht erwerbstätig waren, haben beim (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt oft grosse Schwierigkeiten. Sie dürfen im Falle des Todes der Partnerin oder des Partners nicht benachteiligt werden, weil sie einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft bereits erbracht haben. So lange beispielsweise Familienmanagement, Erziehungs- und Betreuungskompetenzen bei der Anstellung von Wiedereinsteigerinnen und –einsteigern nicht vermehrt als Qualifikation berücksichtigt werden, sollte ist eine generelle Streichung von Witwen- und Witwerrenten ohne Betreuungspflichten ethisch nicht vertretbar.

Massnahmen zur Verbesserung der beruflichen Vorsorge

Justitia et Pax begrüsst die Verbesserung in der beruflichen Altersvorsorge bei Teil- und Mehrfachbeschäftigung in der Vorlage. Verbesserungen in der 2. Säule, die auch geringe Einkommen und Teilzeitbeschäftigte begünstigen, tragen dazu bei, dass später weniger steuerfinanzierte Ergänzungsleistungen notwendig werden. Wir begrüssen deshalb, die Herabsetzung des Koordinationsabzugs und der BVG-Eintrittsschwelle. Dies erhöht die Sparbeiträge und stellt sicher, dass auch Teilzeitarbeitende und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit tiefen Löhnen in die 2. Säule einzahlen können.

Was in der Vorlage fehlt, sind weitergehende Überlegungen darüber, wie der Arbeitsmarkt der Zukunft aussehen wird und wie die Altersvorsorge darauf reagieren soll. Welche Folgen hat es, wenn beispielweise vermehrt Menschen Erwerbsunterbrüche haben, wenn vermehrt Teilzeit gearbeitet wird, sich neue Arbeitsmodelle durchsetzen sollten?

Absenkung Umwandlungssatz

Die vorgeschlagene Absenkung des Umwandlungssatzes schrittweise von 6,8 auf 6,0 Prozent in der 2. Säule wird u. a. mit Blick auf die veränderten Realitäten auf den Finanzmärkten begründet. Justitia et Pax empfiehlt, diese Absenkung nicht definitiv festzuschreiben, weil damit kaum auf allfällige Änderungen – positiv wie negativ – reagiert werden kann.

Wir danken Ihnen für die Möglichkeit zur Stellungnahme und verbleiben

 mit freundlichen Grüssen

Dr. Wolfgang BürgsteinKommission Justitia et Pax
GeneralsekretärRue des Alpes 6
wolfgang.buergstein@juspax.ch1700 Fribourg
[1] Vgl. Béatrice Bowald, Wolfgang Bürgstein (2009): Brennpunkt Altersvorsorge. Gerechtigkeit angesichts demografischer Herausforderungen, Zürich/Chur, Rüegger Verlag.

[2] Vgl. BSV (2008): Die wirtschaftliche Situation von Erwerbstätigen und Personen im Ruhestand.

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